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Ganz in Weiß…

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„Schön, dass du jetzt wieder da bist“, säuselte Lore beiläufig, während sie übertrieben geschäftig um Hanne herumwirbelte, die gerade in der Küche angekommen war. „Ich hoffe, du bist heute früh schon insoweit aufnahmefähig, dass wir gleich in die Vollen gehen können.“

BuffetHanne seufzte und stellte ihren Rucksack in die Ecke. Lore hatte mal wieder ihren hektischen Tag, das konnte anstrengend werden.

„Wir müssen da nämlich auch noch etwas besprechen“, fuhr Lore unbeirrt fort, während sie immer wieder von einer Seite der Küche in die andere eilte und dabei irgendwelche Dinge hin- und hertransportierte. „Da ist ein Paar, das in den letzten Wochen immer samstags kommt, eine große, blonde Frau und ein etwas angegrauter, gutaussehender Typ, weißt du, wen ich meine?“

BuffetHanne überlegte kurz. „Ja, ich denke schon. Was ist denn mit denen?“

„Also, sie wollen Anfang September heiraten und haben gefragt, ob wir uns vorstellen können, das Ganze hier auszurichten. Was meinst du?“

„Ja, warum eigentlich nicht.“ Hanne schaltete die Kaffeemaschine ein. „Wie viele Gäste haben sie denn?“

Bohnensalat„Och“, meinte Lore, während sie zur Terrassentür flitzte, sie öffnete und ein großes Bündel Rhabarber von draußen hereinholte. „Sie rechnen mit hundertzwanzig.“

Hanne klappte der Unterkiefer herunter. „Wie bitte? Wo willst du denn so viele Leute unterbringen? Das ist ja fürchterlich, die passen doch hier gar nicht alle rein!“

LachsröllchenLore hatte begonnen, den Rhabarber zu waschen, das Wasser spritzte in alle Richtungen. „Das geht schon, ich hab´s mir genau überlegt“, übertönte sie das Rauschen des Wassers. „Es muss ja nicht jeder die ganze Zeit sitzen. Wir stellen fürs Essen noch ein paar Biergartengarnituren dazu, wenn man die mit Hussen überdeckt, sieht es sogar ganz nett aus. Nach dem Essen räumen wir das einfach wieder weg, damit dann getanzt werden kann.“

Kräuterhäppchen„Lore, das klingt schrecklich. Hundertzwanzig Leute, kannst du dir auch nur annähernd vorstellen, wie viel Essen wir da machen müssen?“

„Natürlich, ich bin ja nicht blöd“, maulte Lore und legte ein paar Rhabarberstangen auf ein Holzbrett. Dann begann sie, zu schneiden. „Wir müssen das eben gut vorbereiten und organisieren. Es gibt ein großes Buffet, das regle ich schon mit Mariangela. Nur für die Hochzeitstorte habe ich noch keine Idee. Das Tortetrau ich mir nicht zu, aber es wird sich schon eine Lösung finden.“

„Hochzeitstorte? Wird das etwa so richtig klassisch?“ Hanne nahm ihren Kaffee und setzte sich an den Tisch.

„Ja, ganz konventionell. Mit den üblichen rituellen Spielchen, Herz mit Nagelschere aus einem Betttuch ausschneiden, Holzstamm Herzdurchsägen, Luftballons steigen lassen, was man eben so macht. Das kann ich ja noch alles verstehen. Was ich weniger verstehen kann, ist, dass die tatsächlich in der Kirche heiraten. In Weiß, stell dir mal vor!“

„Wieso, das machen doch viele Leute. Ich weiß, du findest das spießig und außerdem bist du erklärte Atheistin, deshalb findest du es sogar lächerlich, aber kannst du dir denn nicht vorstellen, dass es Leute gibt, die anders darüber denken? Wenn man an Gott glaubt – Brautpaarund jetzt guck mich nicht so unwirsch an, es ist doch nicht verwerflich, an Gott zu glauben! – dann ist es ein schönes Ritual, dem anderen die Ehe vor Gott als Zeugen zu geloben, oder?“

„Hanne, ich bitte dich! Das ist auch noch eine katholische Kirche! Welcher moderne Mensch, der auf sich hält, kann ernsthaft noch die katholische Kirche akzeptieren, nach allem, was die sich geleistet hat?“

„Ach, Lore, überlass das doch den Menschen selbst. Wenn sie traditionell mit der katholischen Kirche verbunden sind, wenn ihnen das Halt in dieser chaotischen Welt gibt, Obstdann ist das doch ganz in Ordnung.“

„Aber man kann doch denken. Und ein denkender Mensch muss doch hinterfragen, was dieser Machtapparat so alles in der Vergangenheit angerichtet hat und heute weiter anrichtet. Es geht doch nur um verkrustete Machtstrukturen alter Männer. Sie unterdrücken die Gläubigen nach allen Regeln der Kunst, die Beichte hält sie demütig und Ablassbriefe, Kirchensteuern und der obligate Klingelbeutel füllen die Geldsäcke der MuffinsPopen. Denk mal an die Inquisition, Hexenverbrennungen und dergleichen!“

„Naja, das war im Mittelalter.“

Lore lachte kurz auf. „Klar, heute haben sie dafür den Missbrauch kleiner Jungs. Geh mir bloß weg mit diesem Sauhaufen.“

„Na komm, Lore. Das sind bizarre RohkostEntgleisungen, aber du kannst ja nicht alle über einen Kamm scheren. Erzähl mir keinen Quatsch, so borniert bist du nicht!“

„Ich kann es trotzdem nicht verstehen. Für mich ist die katholische Kirche unter aller Sau, die gehört abgeschafft. Deshalb verstehe ich nicht, dass man da heiratet. Außerdem haben die beiden mir erzählt, dass sie schon seit dreizehn Jahren zusammen sind. Jung sind Ton-in-Tonsie auch nicht mehr, da heiratet man doch nicht in Weiß in der Kirche!“

„Wenn es ihnen doch Spaß macht? Wenn sie mit diesem traditionellen Ritual ihre Liebe öffentlich zelebrieren wollen, und das auch noch nach dreizehn Jahren, wo andere Paare oft schon kein Wort mehr miteinander reden, dann ist das doch eine sehr schöne Sache. Respekt!“

DessertLore seufzte. „Das ist mal wieder typisch. Deine romantische Ader ist geweckt, dann wirst du sentimental und hast für alles Verständnis. Tse!“

„Tja, wenn du das so bescheuert findest, dann sag das Ganze doch ab. Sie werden schon eine andere Location finden.“

„Bitte?“ Lore starrte sie an. „Absagen? Bist du jetzt selbst bescheuert geworden? So ein tolles Fest lassen wir uns doch nicht entgehen!“ Sie überlegte kurz. „Lotte kennt da eine Frau, die Torten macht, fällt mir ein. Bestimmt zaubert die eine Hochzeitstorte für hundertzwanzig hungrige Mäuler!“Hochzeitstorte


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